„Du fehlst mir noch immer- und das ist okay.“- Warum Trauer Zeit brauchen darf

Am Wochenende sitze ich bei einem Workshop zwanzig Minuten einer Frau im Augenkontakt gegenüber. Ich fühle uns verbindet ein Gefühl der Trauer.


„Ich trauere um mein ungeborenes Kind“, sagt sie.

„Ich trauere zuerst um meine Mama und dann um meine Oma“, sage ich.

Ihr Verlust liegt zehn Jahre zurück, meiner 16 Jahre und sechs Monate.

Es spielt keine Rolle wie alt oder jung ein Mensch war und wie viel „Gras darüber gewachsen ist“. Es ist präsent und das ist in Ordnung.


Das Wichtigste was ich über Trauer gelernt habe, ist, dass sie keine Zeit kennt.

Ich durfte verstehen, dass ich mich nicht an einer gesellschaftlichen Grundenergie, die das Funktionieren und „schnell verarbeiten“ hoch hält, orientieren kann. Denn, wenn wir heilen möchten, gibt es nur unseren eigenen Kompass. Es ist so einfach.

Trauer wird still, friedlich und innig, wenn sie gefühlt wird und etwas Hartes beginnt zu schmelzen- wann immer du dazu bereit bist.


Das Zweitwichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass ich die verrücktesten Sachen mache, wenn ich versuche, sie nicht zu fühlen.

Es schickt mich wortwörtlich im Viereck herum und ich suche mir äußere Ziele, die mir in der Tiefe völlig wurscht sind.

Mit 16 gab es nur diesen Weg und er hat mich gerettet- heute habe ich die Wahl und, wenn du das liest, hast du sie auch.

Das Drittwichtigste, was ich gelernt habe ist, dass es Menschen gibt, die dich darin verstehen und Menschen, die dich darin nicht verstehen.

Oder auch: Es gibt Menschen, die kennen diesen Raum genauso wie du und es gibt Menschen, die kennen ihn nicht. Deiner Trauer zu glauben ist nicht abhängig davon, ob du verstanden wirst und gleichzeitig darfst du dich in diesen Moment bewusst mit Menschen verbinden, die dich verstehen.


…. und die größte Weisheit, die ich in diesem Jahr tief verstehen durfte:

Es gibt nicht trauern oder neu anfangen.

Es gibt nur Beides zusammen.

Die Wunde, die ein Verlust aufreißt, lässt neues Licht, lässt Mut, lässt Entschlossenheit herein.

Gleichzeitig lässt sie auch das Licht auf all das Verdrängte scheinen.

Es braucht Mitgefühl und Trost, es braucht die Erlaubnis in manchen Momenten nicht weiter zu wissen und es braucht der unbändige Glaube an die eigene Lebenskraft gleichzeitig.


Meine Liebe, mein Lieber,

Vielleicht trauerst du um den Verlust eines Menschen, um die unerfüllte Liebe deiner Eltern, vielleicht um Lebenszeit, die du in der Dunkelheit verbracht hast.

Trauere und fühle gleichzeitig die Einladung des Lebens mitzufließen.

Für dich. Für das Leben.

In Liebe,

Deine Susanne